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Ein Bahnhofsjubiläum – Reitbahnviertel
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Ein Bahnhofsjubiläum

Ein Bahnhofsjubiläum

Vor 110 Jahren war es die Spitzenmeldung unter den Chemnitzer Lokalnachrichten: In der Nacht vom 30. September zum 1. Oktober 1908 konnte der neue Südbahnhof in Betrieb genommen werden. 1.14 Uhr traf hier der planmäßige Personenzug Nr. 1023 aus Zwickau ein und fuhr 1.15 Uhr zum Hauptbahnhof weiter, wo er 1.19 Uhr ankam. Der bisherige Südbahnhof an der Altchemnitzer Straße, an dem bis dahin die Züge der Strecke Chemnitz-Aue-Adorf Halt gemacht hatten, diente nur noch dem Güterverkehr. Der neue Bahnhof sei nun auch Verkehrsstelle der Dresden-Reichenbacher Linie geworden, wusste das „Chemnitzer Tageblatt“ erfreut zu vermelden. Von jetzt an habe man die Möglichkeit, von diesen Zügen auf die Linien Chemnitz-Aue-Adorf und Chemnitz-Neukirchen-Stollberg umzusteigen. Nur die Schnellzüge durchfuhren den neuen Südbahnhof ohne Halt − wie bis heute noch die Regionalexpresszüge. Damit konnten mehr durchgängige Fahrkarten zum Südbahnhof gelöst werden, an 29 Stationen der Strecken Dresden-Zwickau und Chemnitz-Stollberg hatten die Reisenden die Gelegenheit, sich mit gültigen Tickets für die 1. bis 4. Klasse zu versorgen.
Etwas länger hatte sich die Vorgeschichte dieser dringend benötigten „Personenhaltestelle“ hingezogen. Als die Eisenbahnstrecke Chemnitz-Kappel zu Beginn des 20. Jahrhunderts ausgebaut werden sollte, brachten die Einwohner der verschiedenen Stadtteile ihre Wünsche vor. Für die Bewohner der Süd-Ost-Vorstadt um Annen-, Wiesen- und Zschopauer Straße und das Lutherviertel wäre ein neuer Haltepunkt der Dresdner Linie an der Zschopauer Straße optimal gewesen, zur Anlage des Bahnsteigs hätte die Stadt aber teure Grundstücke ankaufen müssen. Die Bahn wäre andererseits nicht bereit gewesen, den Personenbahnhof der Auer Linie an der Altchemnitzer Straße aufzugeben. So entschied man sich, den Bahnhof in der Gabelung beider Linien an der Reichenhainer Straße zu errichten, wo auch ausreichend Platz zur Verfügung stand.
Im Jahre 1903 wurde dafür das Erdreich auf einem Gelände hinter der inneren Eisenbahnbrücke abgetragen, auf dem sich bis dahin Pachtgärten erstreckten. Im Frühjahr 1904 begann man, die Unterbauten aus Granit zu errichten. Die Entwürfe für das neue Empfangsgebäude stellte das zuständige Baubüro der Staatseisenbahn dem Chemnitzer Baupolizeiamt Anfang 1906 zu, im November des darauffolgenden Jahres war schon zu vernehmen, dass der neue Südbahnhof „nahezu vollendet“ sei.
Das Stationsgebäude erhielt zwei obere Etagen, Gepäckaufzüge und Treppen, man orientierte sich dabei am Beispiel von Dresdner Bahnhöfen. Im Erdgeschoss fanden die Reisenden ein Restaurant und einen Zigarrenladen vor, außerdem sorgte eine Polizeiwache, rund um die Uhr mit zwei Schutzmännern besetzt, für Sicherheit. Sogar eine Strumpf- und Strumpfmaschinenfabrik hoffte hier auf Kundschaft. In der ersten und zweiten Etage wohnten der Ober-Bahnhofsvorsteher und weitere Beamte. Zwecks besserer Beleuchtung des Umfelds fanden große Kandelaber Aufstellung. Eine neue Verbindungsstraße, in den Plänen zunächst als „Y-Straße“ ausgewiesen, wurde von der Bernsdorfer zur Reichenhainer Straße angelegt – die heutige Südbahnstraße. Zugänge zum Bahnhofsgebäude gab es von hier und von der Reichenhainer Straße, von der Bernsdorfer Straße außerdem einen Treppenaufgang zu den Bahnsteigen. Dass dieser an verkehrsreichen Tagen geschlossen blieb, führte freilich noch 1914 zu Beschwerden.
Inzwischen in die Jahre gekommen, erinnert das Äußere des Südbahnhofs heute kaum noch an die Zeit, als er der Stolz der Stadt Chemnitz war. Graffiti zeugen auch hier vom fehlenden Verständnis der „Szene“ für architektonische Schönheit und Natursteinfassaden. Von der Innenaustattung ist kaum etwas übriggeblieben. Vorbei die Zeit, in der die Bahnhöfe repräsentative „Entrees“ zu den Städten bildeten! Die Bahnpläne zur „Ertüchtigung“ der Strecke sehen nun vor, die Brücke der Dresdner Strecke durch einen funktionalen Neubau zu ersetzen, der einige historische Details wieder aufnehmen soll. Wie sich dieser mit der „Schwesternbrücke“ der Auer Strecke vertragen wird, bleibt abzuwarten. Die Stufen an der Südbahnstraße könnten in Zukunft jedenfalls nicht mehr zu einem Eingang führen, denn dieser Eingang soll verfüllt werden und lediglich eine „Malerei“ an seine Stelle treten.
Genauso wichtig wie die endgültige Gestaltung scheint jedoch die Frage zu sein, wie solche stadtbildprägenden Gebäude ständig erhalten und gepflegt werden. Da ist es ein Lichtblick, dass der Südbahnhof gegenwärtig eine teilweise Wiedergeburt als Veranstaltungsort erlebt. Der Name dieses Klubs, „transit“, könnte nicht nur für „Durchreise“ und „Durchfahrt“, sondern auch für die Aussicht stehen, den Verkehrsbau in einen ansehnlicheren Zustand zu überführen. Bei den Räumen in seinem Inneren ist der vielversprechende Anfang dazu gemacht.
Stephan Weingart
Zum diesjährigen Tag des offenen Denkmals am 9. September 2018 unter dem passenden Motto „Entdecken, was uns verbindet“ wird der Südbahnhof von 11:00 bis 17:00 Uhr geöffnet sein:
Einblicke in das denkmalgeschützte Empfangsgebäude und Informationen zur neuen Nutzung durch die Kulturbahnhof Chemnitz gGmbH, Ausstellung mit Fotos und historischen Dokumenten zur Geschichte des Südbahnhofs und des Chemnitzer Bahnbogens, einschließlich des Viadukts Annaberger Straße/Beckerstraße, Imbiss- und Getränkeangebot
12:00 und 14:00 Uhr Führungen entlang des Bahnbogens durch den Viadukt e.V.